Im Frühjahr letzten Jahres kam ein neues Mitglied in unsere Familie: die im Mai 2018 geborene Absetzerstute Holly. Frisch vom Züchter, gut sozialisiert und an das Halfter gewöhnt. Ansonsten eine leere Leinwand was Training und Erfahrung anbelangt und obendrein mein erster Absetzer.
Zum Thema Jungpferde habe ich ja bereits an verschiedenen Stellen meine Meinung kund getan, ich denke man sollte Pferden Zeit lassen, ihre Aufgabe zu finden. Genau so wichtig finde ich jedoch auch, dass ein Pferd eine Aufgabe hat und seinen Platz in der Welt kennt, auch ein erst 11 Monate altes Fohlen.
Natürlich fing meine Reise mit Holly deshalb ganz vorsichtig und zurückhaltend an. Die ersten Tage und Wochen habe ich mir viel Zeit genommen, um bei ihr in der Box oder mit ihr auf der Koppel zu sitzen und sie zu beobachten. Noch wenig Streicheln, nur ein gelegentliches Rufen oder miteinander umherlaufen. Wir haben unsere Freundschaft langsam geknüpft.
Natürlich darf man diese Art der Fohlenschule noch nicht mit einer Grundausbildung verwechseln, die in Hollys Fall noch nicht begonnen hat. Vielmehr geht es mir darum einen Einblick zu geben in all die vielen kleinen Momente, die aus einem unerfahrenen, frechen Fohlen ein freundliches und mutiges Jungpferd werden lassen.
Irgendwann im späten Frühling machten wir auch unsere ersten Gehversuche im Roundpen und auf dem Reitplatz. Freiarbeit mit ihr war eine große Freude und ihre Konzentration war dabei ein kleines bisschen besser. In meinem Trainingstagebuch halte ich bis jetzt alle Einheiten mit ihr fest, wie ich mich fühle und was wir gemacht haben. Ab Mitte Mai 2019 schafften wir auch Mal 10 oder 15 Minuten „Arbeit“. Und die ersten Mini Spaziergänge außerhalb des Hofgeländes wurden unternommen.
Manieren waren mir von Anfang an sehr wichtig, etwa ein höfliches Abwarten, wenn es um ihren Futtereimer geht oder geduldiges Stehenbleiben, wenn ich hinter ihr das Koppeltor schließen möchte. Kein Treten und Beißen, was ihr vor allem im Übermut aber noch manchmal schwer fällt.
Die Übungen die das Verarzten anbelangen konnten wir im Sommer gut brauchen, denn Holly brachte ständig irgendeine Schramme mit von der Koppel. Ach das waren die Freuden eines jeden Jungpferdebesitzers! Am linken Karpalgelenk war eine von ihren Schrammen im August so großflächig, dass wir ihr einen Verband anlegen mussten, nachdem sie dauernd daran rumschleckte. No Bite Spray und Bandagen waren teils erfolglos im Einsatz. Kurz danach hatte sie einen Einschuss auf dem anderen Vorderbein. Zwei Wochen später sprang sie durch einen Zaun und zog sich unter der Achsel eine Wunde zu, die getackert werden musste. Zwei Wochen Boxenruhe folgten, zwei Mal Sedierung, weil sie sich immer wieder die Tackernadeln aus der Wunde zog und den Tierarzt nicht an sich ranließ. Die letzten drei Nadeln entfernten schließlich mein Mann und ich mit einem Seitenschneider und dem Licht einer Taschenlampe während sie seelenruhig Heu fraß. Wir wollten ihr eine weitere Sedierung ersparen.
In dieser Zeit beschränkte sich unser Zusammensein wieder viel auf Putzen und beobachten. Manchmal ein kleiner Hofspaziergang und ganz beiläufig ein paar Grundlektionen im Showmanship, wie eine Viertel Hinterhandwendung, Rückwärts und geschlossen stehen. Im Oktober fingen wir wieder langsam an mehr zu unternehmen. In der Zeit drängelte sie beim Führen viel und hatte so viel Selbstvertrauen und Neugier entwickelt, dass sie alles und zwar wirklich alles ins Maul nehmen, oder mit den Hufen erkunden musste.
Die Drängelei kann darauf zurück geführt werden, dass sie zu dem Zeitpunkt (und in gewissem Maße bis heute) stark überbaut war. Vorderhand und Hinterhand passten anatomisch nicht zusammen. Dann die unstillbare Neugier! Ich hätte nie gedacht dass ein Pferd zu neugierig sein kann. Holly ist tief beleidigt, wenn sie etwas nicht lang genug betrachten darf. Also haben wir seitdem sehr viel Führtraining gemacht, ein paar Dinge zum Desensibilisieren, Planen, Flaggen usw. Spaßeshalber einmal einen Longiergurt aufgelegt und gegurtet, ich war so stolz auf sie.
Unsere Spaziergänge wurden immer länger und inzwischen waren wir schon fast eine Stunde im Gelände, dort macht sie sich im Grunde am besten. Sie sieht viel und kann so ihre riesige Neugier stillen. Angst ist draußen nur sehr selten ein Thema.
Wichtigste Übungen sind seitdem alle, die mit Nachgiebigkeit zu tun haben, denn ihre übermäßige Neugier macht sie oft stumpf gegenüber Signalen. Und damit werden wir uns mit Sicherheit noch weit bis in den Sommer hinein beschäftigen.
Ganz allmählich sieht sie immer weniger nach „Baby“ aus, sondern immer größer und schlacksiger und an manchen Tagen schon ein bisschen nach Pferd, statt Kreuzung aus Dromedar und Esel. Unser erstes gemeinsames Jahr haben wir mit vielen Tiefen und Höhen verbracht. Ich habe das Gefühl, sie gut auf alles vorbereitet zu haben, was in ein bis zwei Jahren an Grundausbildung auf sie zukommt. Unser schönster gemeinsamer Tag war übrigens Anfang Dezember, als ich mit ihr einen kleinen Spaziergang unternahm, der erste ganz allein ohne Begleitung. Da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, einen richtigen Freund neben mir zu haben. Ich bin gespannt was unsere Zukunft bringt.