Wir spulen einmal kurz zurück ins Jahr 2014, als mein Mann und ich unsere Semesterferien Zuhause im Allgäu verbrachten und nach einem Semester Beton und Großstadt das große Bedürfnis verspürten Natur zu tanken. Irgendwie hatte ich es schon in den Jahren zuvor geschafft Sven aufs Pferd zu bringen, aber diesen Sommer stand eine Premiere an: Ausritte! Auf unserer ersten Galoppstrecke zischte er mit meiner Haflingerstute laut Jauchzend an mir und dem Paint vorbei, den ich mir ausgeliehen hatte. Und von da an hatte er Blut geleckt, jahrelang hörte ich mir an, dass doch das Ausreiten das große Erstrebenswerte sei und er eines Tages auch ein Pferd haben wollen würde.
Und nun sechs Jahre später war es endlich soweit: er konnte endlich auf seinem eigenen Pferd ausreiten, das wir zusammen ausgebildet haben. Dabei sah die Sache Anfang des Jahres noch ganz anders aus. Rose geht nicht gerne alleine ins Gelände, die beiden haben auch durch Übung keine Routine bekommen können. Auch wenn wir letztes Jahr schon ein wenig draußen waren, von richtigen Abenteuertouren aber noch weit entfernt.
Ich selbst war nicht so scharf darauf ihn und Rose zu begleiten, im Nachhinein muss ich sagen, das war nicht besonders fair von mir. Mit Holly hatte ich zu viel Anderes zu tun, wir mussten erst Zuhause in paar Dinge zusammen lernen. Meine Haflingerstute ging die großen Runden altersbedingt nicht mehr. Mit Lou haben wir es versucht, aber da hat die Chemie zwischen beiden Pferden nicht so gestimmt. Und mit den Stallkollegen ging irgendwie auch nichts zusammen. Sven hatte das Thema Ausreiten eigentlich schon an den Nagel gehängt.
Doch Corona hat nicht nur ganz Deutschland durcheinander gebracht, sondern auch unsere Trainingspläne. Durch die viele Zeit, die wir im Frühjahr hatten, haben wir viele Punkte unserer Pferde Bucket List für 2020 schon abhaken können. Insbesondere Hollys Bodenarbeitstraining, sodass wir im Juni nur noch Gelände auf dem Schirm hatten. Holly geht sehr gerne die Welt erkunden, obwohl sie erst zwei Jahre alt ist, kann sich da so manches Pferd von ihrer Gelassenheit eine Scheibe abschneiden. Darauf musste ich nur erstmal kommen, denn unsere ersten Ausflüge außerhalb des Hofes waren zum Teil etwas chaotisch. Zumindest wenn wir von anderen Pferden begleitet wurden. Alleine war es viel besser!
Und trotzdem haben wir uns dann im Juni ganz spontan auf den Weg gemacht. Immer mit der Möglichkeit umzudrehen im Hinterkopf. Aus der Überlegung, dass Holly ja alleine so cool ist, haben wir sie voraus gehen lassen. Und schon nach ein paar Minuten kam Sven nicht mehr aus dem Schwärmen. Rose war ganz verändert und lief entspannt. Holly marschierte voraus, mit gespitzten Ohren und großer Neugier. Ich habe immer ein wenig Schwierigkeiten mit ihrem flotten aber entspannten Wohlfühltempo mitzuhalten.
Seitdem haben wir viele Touren unternommen. Sven reitet inzwischen an der kalifornischen Hackamore und mit seinem Reitpad. Das Pad ist eigentlich nichts für mehrstündige Touren, aber das macht nichts, Sven reitet meist nicht den ganzen Ausflug über sondern steigt immer wieder ab bzw. auf. Der Sattel zieht erst im Herbst ein. Aber es ist wieder ein Fall von aus der Not eine Tugend machen: Rose hat gelernt zum Aufsteigen ruhig zu stehen, auch im Gelände. Und Svens Reitersitz hat sich enorm verbessert. Er fühlt sich damit so wohl, dass auch schon einige Trabstrecken und ein paar Sprünge im Galopp möglich waren.
Holly und ich haben sehr viel Führtraining bekommen, das sich vor allem Zuhause sehr auszahlt. Zuhause drängelt sie viel weniger als noch im Frühjahr. Im Gelände drängelt sie manchmal noch ein wenig voraus, aber wir nehmen es sportlich. Ich habe nämlich im März angefangen an einem Trick zu arbeiten, von dem ich damals noch nicht wusste, dass er mir jetzt helfen würde: Rückwärts von hinten. Überholt sie mich jetzt im Gelände deutlich, halten wir an, ich gebe mein Handzeichen fürs Rückwärts gehen und sie parkt sich wieder neben mich. Außerdem spielen wir immer wieder mit der Führposition, probieren auch Mal Führen aus Distanz aus, quasi Führen aus der Longierposition. Geht auch! Und ist praktisch auf Wegen, die zum Beispiel einen dicken Wiesenstreifen in der Mitte haben.
Wichtig ist es beiden Pferden ihr Wohlfühltempo zu lassen bzw. immer wieder spielerisch daran zu arbeiten. Zum Beispiel indem Mal eins von beiden Pferde-Mensch Teams weiter weg ist. Oder eines trabt ein Stück, während die anderen weiter Schritt gehen. Auch Dinge wie kurz anhalten und von den Anderen wegtraben oder wieder zurücktraben haben wir geübt. Bei der Gelegenheit ist Sven und Rose auch der erste kleine Galopp „rausgerutscht“.
Mit einigen Stallkollegen waren wir auch schon unterwegs. Holly möchte trotzdem möglichst weit vorne, Rose möglichst weit hinten laufen. Es sind ihre bevorzugten Positionen in der Gruppe. Holly gibt die Führung nur dann ab, wenn ein Weg wirklich Mal etwas unübersichtlich wird. Rose sichert nach hinten, man sieht sie häufig ihre Ohren bzw. ihre Aufmerksamkeit nach hinten richten. Andererseits hat sie dadurch immer alle anderen Pferde im Blick und wenn die ruhig sind, kann sie auch ruhig bleiben. Stimmungsübertragung lautet das Stichwort!
Gefahrenquellen gab es natürlich trotzdem entlang unserer Wege. Holly hat ein Haushoher Stapel Baumstämme ganz aus dem Häuschen gebracht. Aber ich gehe damit einfach sehr bewusst um. Ich selbst laufe zwischen Gefahr und Pferd, gehe voraus und berühre die vermeintliche Gefahr, sage „Touch“. Wenn sich Holly damit beschäftigt und nicht versucht die Situation zu vermeiden lobe ich sie per Stimme und sie bekommt ein Leckerli. So haben wir das daheim schon immer gemacht.
Wenn Sven mir signalisiert, das Rose mit etwas Probleme hat, gehen Holly und ich auch hin und schauen uns das nach diesem Prinzip an. Oder wir gehen zumindest sehr viel langsamer an der Stelle vorbei. Rose schaut sich Hollys Verhalten gegenüber der potentiellen Gefahrenquelle ab. Typischer Gruselort für Rose, den wir damit gemeistert haben, ist eine Brücke, über die wir bei fast jeder Route gehen müssen, unter der ein kleiner Bach rauscht. Zuletzt konnten Sven und Rose sogar schon darüber reiten.
Am Verkehr entlang ging es auch schon. PKWs und LKWs sind keine große Sache, nur mit einem Traktor hatten wir erst eine nicht so schöne Begegnung, bei der der Traktorfahrer sehr knapp hinter uns bremste und dann so schnell wie möglich überholte. Uns ist bis aufs erschrecken aber nichts passiert. Leider ist es schwierig in unserer Umgebung, die Straßen ganz zu meiden, deshalb fühlt es sich gut an zu wissen, dass wir zur Not immer sicher an der Straße entlang gehen können.
Es wäre gelogen zu sagen, dass wir nie blöde Situationen haben. Ich denke darum geht es auch nicht im Geländetraining mit jungen Pferden. Besonders Holly hüpft ab und an noch Mal. Weil sie gestolpert ist, oder irgendwo ein Raubvogel aufgeflogen ist oder sie einen Schmetterling erlegt (true story, sowas hab ich noch nicht erlebt, aber dieses kleine Pferdchen hat den Schmetterling erlegt, als wäre es eine Raubkatze).
Es geht viel mehr darum gemeinsam Spaß zu haben und ich muss gute Laune und Sicherheit vermitteln. Bewusst ist mir das erst mit unseren anderen Begleitern geworden. Eine Stallfreundin sagte mir nämlich sie würde mich sehr dafür bewundern, wie cool ich Holly draußen zur Seite stehe. Vor Allem bei ihren kleinen Hüpfern, so ein buckelndes, zappliges Pferd an der Hand zu haben kann auch Mal unangenehm sein. Aber dieses Verhalten gilt nicht mir, sondern wird von Umweltfaktoren ausgelöst. Und die kann ich nunmal nicht kontrollieren, sondern nur lernen damit umzugehen. Bis jetzt habe ich den Eindruck, dass Holly dadurch lernt, auch nach kurzen Aufregern schnell wieder in die Ruhe zu finden.
Wenn es mir doch Mal zu viel wird, helfen Sven, Rose und unsere lieben Stallfreunde immer die Laune positiv zu halten. Und ich selbst lerne dadurch auch mich schnell wieder zu beruhigen, wenn mich Mal etwas wirklich stresst. Wie kann ich meinem Pferd denn auch sonst die charakterlichen Qualitäten vermitteln, die mir wichtig sind, wenn ich sie selbst nicht besitze? Und dafür sind Abenteuer da, um sich selbst besser kennen zu lernen. Und um mit Kafka zu schließen: Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.