Diverses

Vom Hackamore zum Two Rein Horse

Oder auch: Gute Pferdeausbildung braucht Zeit! Unsere Rosie haben wir 2019 mit viel Geduld 4 jährig angeritten. Schon damals habe ich berichtet, wie wichtig es in meinen Augen ist, den jungen Pferden die Zeit zu lassen, die sie brauchen, um in ihre Aufgaben als Reitpferd hineinzuwachsen. Aber letztendlich ist diese Geduld nicht nur in der Zeit des Anreitens aufzubringen, sondern sollte das Pferd auch durch die gesamte Remontenzeit über begleiten.

Eine Remonte ist ein junges Reitpferd, das erst am Anfang seiner Karriere steht. Der Begriff stammt noch aus der Kavallerie und wurde für junge Reitpferde in ihren ersten ein bis zwei Jahren unter dem Sattel verwendet. Eine Remonte ist noch kein vollwertiges Reitpferd. Genau so verstehe und verwende ich diesen Titel auch. Im Bezug auf Rosie: ihre Remonten Zeit hat sie als Hackamore Horse verbracht. Der Begriff ist das altkalifornische Pendant zu Remonte und bezieht sich auf die dort übliche Jungpferde Zäumung: die altkalifornische Hackamore, landläufig auch als Bosal bekannt. (Über diese Zäumung sprechen wir ausführlich in einer unserer Podcast Folgen!)

Sven mit Rosie im Frühjahr 2020 in der Hackamore

Diese Zeit haben wir aber mit einem bestimmten Ziel vor Augen verbracht: Rosie auf ihre Zeit als Two Rein und später Bridle Horse vorzubereiten. Ein Bridle Horse ist in der altkalifornischen Reitkunst das höchste Ausbildungsziel. Es trägt ein sogenanntes Bit, sprich eine altkalifornische Kandare. Anders als europäische Kandaren animiert das Bit ein Pferd zum selbstständigen Einnehmen einer gesunden, den Reiter reell tragenden Körperhaltung. (Auch hierzu gibt es eine Podcast Folge, die ich jedem empfehle, dessen Interesse ich hiermit geweckt habe.) Bevor das als „straight Up“ Bridle Horse möglich ist folgt eine Zeit als Two Rein Horse, in den das Pferd mit zwei Werkzeugen geritten wird. Dem Bridle und dem Bosalito, zwei Zügelig. Daher eben auch der Name: Two Rein Horse.

Aber was gab es da überhaupt vorzubereiten? Man möchte meinen die Two Rein Phase alleine wäre doch die eigentliche Vorbereitung für das Bit. In meinem Augen ist das weit gefehlt. Die erste „Umstellung“ war in Rosies Fall von Bosal auf Bosalito und ein ganz wichtiger Zwischenschritt, bevor es ans Bit ging.

März 2020: Im Hackamore zweihändig geritten

Im Frühjahr 2020 war sie gerade etwa ein Jahr unter dem Sattel und hatte eine kleine Winterpause hinter sich, in der der Fokus wieder mehr auf der Bodenarbeit als dem Reiten gelegen hatte. Alle Grundgangarten ließen sich schon gezielt abrufen und grundlegend kontrollieren. Dabei ihre Körperform zu beeinflussen, das heißt sie zu versammeln war besonders in Trab und Galopp noch schwierig. Auf Reitfotos von Sven und ihr aus dieser Zeit sieht man sie in einer guten Grundhaltung laufen. Ihr Genick ist schon meist höchster Punkt. Dennoch wirkt das Gesamtbild für den ein oder anderen Betrachter noch nicht allzu gefällig, denn ihr Genick ist dabei noch weit geöffnet (die Nasenlinie ist nicht an der Senkrechten sondern deutlich davor). Das ist mit einer altkalifornischen Hackamore meiner Meinung nach auch wenig möglich. In meinen Augen ist das Bosal dafür kein Werkzeug, es dient mehr der lateralen Einwirkung. Zudem konnte Sven den Raumgriff und die Geschwindigkeit der einzelnen Gangarten noch wenig beeinflussen. Ziel war es in der Zeit deshalb meist ein gleichmäßiges ruhiges Tempo einzunehmen.

Frühjahr 2021: Die Phasen, in denen sich Rosie auch in den höheren Gangarten trägt werden immer länger, sie fühlt sich immer rittiger an.

Ein Jahr später im Frühjahr 2021 sah die Welt schon etwas anders aus. Der Umstieg auf das Bosalito ermöglichte beiden jetzt vermehrt an Tragkraft und Versammlung zu arbeiten. Es gab immer mehr Momente, in denen Rosie es gelang das Genick weiter zu schließen (die Nase näher an die Senkrechte zu bringen) ohne dabei den Takt zu verlieren oder die Geschwindigkeit zu verändern. Der Weg dahin war aber nicht allein durch den Umstieg auf Bosalito geprägt, sondern besonders durch sehr viel gymnastizierende Arbeit unter dem Reiter aber auch am Boden. Eigentlich ist diese Handarbeit nicht traditionell kalifornisch. Hier haben wir uns mehr an klassischen und barocken Vorbildern orientiert. Aber auch mit modernen Erkenntnissen über Propriozeption gearbeitet. Ich kombiniere gerne Wissen, der Vorteil im Europa des 21. Jahrhunderts zu leben. Und ich bin überzeugt, hätten wir uns allein an kalifornischen Vorbildern orientiert, hätte das die Sache für Sven und Rose deutlich schwerer gemacht. Das Bosalito hat diese Arbeit am Boden nun im Sattel gut ergänzt.

Im Spätsommer 2021 war es nun soweit: Biegung, sämtliche Seitwärts Gänge im Schritt und beginnend auch in Trab, Vor- und Hinterhandwendung, Rückwärtsmanöver und die beginnende Versammlung in allen Gangarten waren einhändig zu Reiten. Auch Sven ist reiterlich enorm gewachsen. Und die beiden hatten trotz der ganzen Arbeit eine gute, abwechslungsreiche Zeit, wie ich behaupten würde. Der nächste Schritt bestand darin Rosie das Bit schmackhaft zu machen. Geholfen hat da etwas Honig und eine mehrwöchige Eingewöhnungsphase, in der das Bit „blind“, also ohne Zügel bzw. Einwirkung von diesen verschnallt wurde.

Erst als sie das Bit willig genommen und frei in Schritt und Trab im Round Pen getragen hat, begann das eigentliche Reiten damit. Aber eben noch immer weitestgehend „blind“! Stattdessen hat Sven sie wie gewohnt am Bosalito mit einem Fokus auf Bein- und Gewichtshilfen geritten. Die Zügel des Bits, die sogenannten Romal Reins hat er anfangs so locker in der Hand mitgeführt, dass kein Signal beim Pferd ankam. Die eigentlichen Zügel, mit denen stattdessen geritten wird sind die des Bosalitos. In der Hand des Reiters kommen somit zwei Zügelpaare an: Bosalito Zügel (Mecate) und Romal Reins. Und daher der Begriff „Two Rein Horse“ – „Zwei Zügel Pferd“, für ein Pferd in dieser aktuelle Ausbildungsphase.


Nach und nach gilt es nun in einem Zeitraum von mehreren Monaten bis Jahren die Zügelsignale immer mehr auf die Romal Reins zu verlegen. Und dann ist man tatsächlich am Ziel der Altkalifornischen Ausbildung, ein Bridle Horse ausgebildet zu haben. Ein Pferd, welches mit minimalsten Hilfen am Bit allein geritten werden kann, sich selbst trägt und motiviert und willig die Manöver der altkalifornischen Reitkunst ausführt.

Rosie wird dabei wesentlich mitentscheiden, wie lange der Weg ist, der da noch vor uns liegt. Aber unsere bisherige Reise mit ihr hat Sven und mich gelehrt, auf sie zu vertrauen und unterwegs die Aussicht zu genießen. Sie hat schon jetzt die Qualität eines großartigen Pferdes und uns mindestens genau so viel gelehrt, wie wir ihr.

Oben: März 2020, Rosie in der Hackamore,
Unten: Oktober 2021 Rosie in den Two Reins